Es war 7:15 Uhr in der Früh als ich mit dem Flieger Sizilien ansteuerte und die Sonne über den Ätna aufgehen sah. Ein unbezahlbarer, majestätischer Anblick und ein sehr schönes Willkommen für meinen anstehenden Aufenthalt auf der italienischen Insel. Zwei Wochen sollte ich nur auf Sizilien in der Nähe des Städtchens Fiumefreddo bleiben. Weihnachten und Silvester wollte ich in Deutschland mit Freunden und Familie verbringen.
Bei der Weiterreise mit dem Bus in Richtung Fiuemefreddo konnte ich die Augen nicht von dem Ätna lassen. Es war ein fast absurder Anblick. Während die Landschaft bei Sonnenschein an einem vorbeizog, konnte ich das Mittelmeer und die unzähligen Orangenhaine auf der rechten Seite bestaunen. Dieses mediterrane Bild wurde gebrochen, sobald ich nach links schaute. Dort thronte der mächtige, über 3.000 Meter hohe Ätna mit seinem schneebedeckten Krater und einem wurde fast schon ehrfürchtig zumute. So einen großen Vulkan hatte ich noch nie gesehen.
Hinzu kam, dass ich bei meiner Ankunft auf Sizilien gehört hatte, dass er noch aktiv war. Ein eher mulmiges Gefühl, um ehrlich zu sein. Schließlich könnte er jeden Moment ausbrechen? Mir kamen direkt die Bilder aus Pompeji in den Kopf und ehrlich gesagt wollte ich nicht als versteinerter, archäologischer Fund in einem Museum landen. Doch ich wurde ein wenig beruhigt. Die Italiener nennen ihren Vulkan liebevoll Mongibello - zu deutsch den Gutmütigen. Denn obwohl der Ätna der größte aktive Vulkan Europas ist, lässt die eher dickflüssige Lava viel Zeit zur Flucht. Na wenn das nicht beruhigend ist.
Meine Gastfamilie für den bevorstehenden Farm Stay war ein unkonventionelles Ehepaar. Er hat sich als Kunsthändler in Belgien Geld zur Seite legen und ein Grundstück auf Sizilien kaufen können, welches er sich mit seiner Frau, einem ehemaligen Model, teilt. Und seit ein paar Jahren beherbergt das Paar Volontäre in einem separaten Haus. In diesem sollte ich mit zwei weiteren Volontären wohnen - Faith aus den USA und Sergio aus Spanien.
So richtig wusste ich ehrlich gesagt nicht, was mich erwarten würde oder welche Aufgaben ich in dem Farm Stay übernehmen sollte. Macht nix, ich wollte mich überraschen lassen. Überrascht wurde ich in der Tat bei meiner Ankunft. Als ich in das Haus der Gastgeber eintrat und ich auf die anderen zwei Volontäre traf, wurde mir direkt bewusst: hier wird viel und gerne umarmt - es herrschte generell eine eher esoterische Atmosphäre, an die ich mich erst einmal gewöhnen musste. Das sollte sich noch einmal mehr zeigen, bevor wir uns gemeinsam zum Abendbrot hinsetzten. Denn plötzlich sah ich meine Gastmutter mit einem Räucherstäbchen vor mir herumwedeln - ein Stück Palo Santo, was, wie sie mir erzählte, zur Verbannung negativer Energien genutzt wird. Okaaay…dieser Aufenthalt könnte definitiv interessant werden, dachte ich mir. Aber ich wollte mich darauf einlassen. Immerhin sind es ja nur zwei Wochen.
Als wir beim Abendbrot zusammensaßen ergriff ich die Chance, um einmal nachzuhaken, was meine Rolle auf der Farm sein würde. Neben 200 Olivenbäumen, die verschnitten werden sollten, gab es zwei Tiny-Houses, an denen die Volontäre arbeiteten. Die neueste Errungenschaft des ehemaligen Kunsthändlers war allerdings ein aufgekauftes Grundstück mit drei alten Häusern, die renoviert werden sollten.
Es gab also allerhand und jeden Tag etwas anderes zu tun. Meine Aufgabe bestand vor allem darin die Asche des Ätnas zu entfernen, die sich zentimeterdick auf der Terrasse, den Dächern und Regenrinnen angesammelt hatte. Außerdem stand das Entrümpeln der alten Häuser auf dem Tagesplan, sowie das Abschleifen und Streichen der Zäune. Nachdem wir eine Woche entrümpelt und entstaubt hatten, waren die Häuser sogar schon ein wenig vorzeigbar. Spontan beschlossen wir eine Einweihungs-/Weihnachtsfeier zu organisieren. Wir luden ein paar Freunde von meinen Gasteltern ein, hingen Weihnachtslichter auf, spielten Musik und tanzten. Und was durfte bei einer italienischen Weihnachtsfeier nicht fehlen? Unmengen an Pizzen.
Doch besonders spannend waren die Days Off - also die freien Tage, von denen wir pro Woche zwei zur freien Verfügung hatten. Bereits zwei Tage nach meiner Ankunft fragten mich meine Gasteltern, ob ich gerne tanzen würde. Ich bejahte ihre Frage, unwissend, welchen Stein ich damit ins rollen brachte. Sie luden mich auf eine Tanzveranstaltung für den darauffolgenden Tag ein. Cool, dachte ich mir. Während ich bei tanzen an Elektromusik und Nachclubs denke, so haben meine Gasteltern eine durchaus andere Vorstellung des Tanzes. Das sollte mir bewusst werden, als wir am nächste Tag in der Tanzlocation ankamen. Es war 10 Uhr am Morgen und wir befanden uns in einer Art überdimensionalen Gewächshaus.
Es fanden sich insgesamt 30 Leute ein. Eine Live Band gab es auch. So weit so gut. Nun sollten wir uns alle im Kreis hinsetzen und ein Instructor gab uns Anweisungen, wie die nachfolgenden drei Stunden des ekstatischen Tanzes ablaufen würden. Moooment. Ekstatischer Tanz? Dafür hatte ich mich nicht angemeldet und was bedeutete das überhaupt? In meiner Vorstellung klang es nach einer Hippie-Guru-Pfeiferauchen-Orgie. Nur war es für einen Rückzieher bereits zu spät. Also schaute ich mir das Ganze mal an. Die Musik startete ganz langsam und alle krabbelten auf den Boden herum, machten Verrenkungen oder verschlungen sich ineinander. „Ok, bloß kein Augenkontakt zu anderen aufnehmen“ dachte ich mir. Nicht, dass sich jemand aufgefordert fühlt, einen Versuch bei mir zu starten. Alles in allem war mir die Situation wirklich unangenehm, besonders als die Musik ekstatischer wurde und die Leute aufstanden und wie wild juchzend herumsprangen. "Unangenehmer wird’s nicht mehr.“ sagte ich mir selbst - oooh wie falsch ich damit lag.
Zwei Wochen später, kurz vor meiner Abreise, sollte dieses Erlebnis an Merkwürdigkeit übertrumpft werden. Meine Gasteltern luden mich zu einem weiteren Event ein: einer Kakaozeremonie. Ich war durch den ekstatischen Tanz zwar etwas gebrandmarkt, stellte mir eine Kakaozeremonie aber recht köstlich vor. Ich sagte zu. Wir fuhren wieder in dieselbe Location, wieder startete das Event um 10 Uhr in der Früh aber dieses Mal war es ganz wichtig, dass wir einen nüchternen Magen hatten. Schon bei der Ankunft fiel mir auf, dass in der Mitte des Raums ein großes Tuch als eine Art Altar aufgestellt war.
Verschiedene Lebensmittel, wie Brot und Gemüse waren dort angerichtet und wurden von dem Qualm der unzähligen Räucherstäbchen umwoben. Als ich die Organisatorin fragte, was das sei, sagte sie, dass wir die Lebensmittel auf dem Altar durch unsere Kakaozeremonie mit positiver Energie segnen würden. What the fuck?! Ich kam mir vor als wäre ich in einer schlechten deutschen Komödie gefangen. Alle Teilnehmer setzten sich um den Altar herum. Die Organisatorin holte ein großes Stück 100%-igen Kakao hervor und raspelte mit einem Messer ein wenig von dem Kakao ab, welches sie schließlich in einen großen Topf mit brodelndem Wasser und Gewürzen gab. Anschließend forderte sie die Gruppe auf es ihr gleich zu tun. Das würde sich ganz wunderbar auf die Energie des Kakaos ausüben, so sagte sie. Und so raspelte jeder ein wenig Kakao ab. Mir ging durch den Kopf, wann sich die 20 Leute wohl das letzte mal ihre Hände gewaschen hatten. Ich versuchte den Gedanken zu verdrängen, auch wenn es mir angesichts der weltweit epidemischen Lage doch sehr schwer fiel. Nachdem der Kakao fertig gekocht war, durfte sich jeder bedienen und ich war doch sehr über die dickflüssige Konsistenz überrascht.
Und auch der Geschmack überraschte mich. Als würde man auf einer rohen Kakaobohne herumkauen, so bitter war es. Augen zu und durch. Sobald jeder seinen Trunk hintergekippt hatte, erzählte die Organisatorin, dass in ein paar Minuten ein stimmungsaufheiternder Effekt einsetzten würde. Sollte einem dieser Effekt nicht reichen, so erzählte sie beschwingt weiter, könnten auch Pilze oder Schnupftabak eingenommen werden. Als anschließend ein wahrhafter Schamane den Raum betrat, mit seiner Pfeife reihum den Teilnehmern Schnupftabak in beide Nasenlöcher blies und diese anschließend mit tränenden Augen einen sehr miserablen Eindruck auf mich machten, war es für mich vorbei. Ich verließ den Raum. Auf einer Wiese in der Sonne sitzend wartete ich darauf, dass zumindest der versprochene stimmungsaufheiternde Effekt des Kakaos eintreten würde. Vergeblich. Vielleicht war die gesamte Situation etwas zu verstörend für meinen Geschmack oder irgendeine Energie blockierte mich?
Alles in allem war dieser esoterische Ausflug nach Sizilien ganz nett. Ich wusste, dass ich gern auf die Insel wiederkommen würde, um den Ätna und die Gegend zu erkunden. Und ich nahm mir fest vor, dass mein nächster Farm Stay ein Projekt sein sollte, wo ich mit Leidenschaft dabei bin und im besten Fall mit Tieren arbeiten könnte. Aber hey, ich habe in den zwei Wochen auf Sizilien Dinge getan, von denen ich dachte, dass ich sie niemals tun würde und bin immerhin aus meiner Komfortzone gelockt wurden. Aber ich freute mich auf Weihnachten zu Hause, ganz ohne gesegnetes Brot und energetisch aufgeladenen Kakao sondern mit Plätzchen und Glühwein.
Wieder eine sehr bildhafte und lebendige Beschreibung deiner tollen Reise. Diese exotisch-gigantischen Erlebnisse passen so gut zu deiner jetzigen Lebenssituation; ich bin begeistert.